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"Unser Beruf ist kein Job, den man einfach so macht!"

Es ist nie zu spät, Träume zu verwirklichen

Ines erzählt, wie sie nach 15 Jahren im ambulanten Dienst den Schritt wagte, eine Ausbildung zur Pflegefachkraft zu machen. Sie spricht über Herausforderungen, die Bedeutung von Menschlichkeit und Kommunikation in der Pflege sowie ihre Ziele, das Berufsfeld aktiv mitzugestalten.

Frage: Wie sind Sie denn auf die Ausbildung bei der Mitterfelder Akademie für Pflegeberufe gekommen?
Ines:  Als Helferin mache ich diesen Beruf schon seit 15 Jahren, immer im ambulanten Dienst. Ich wollte aber weiterkommen und Fachkraft werden. Aber damals war die Förderung durch das Arbeitsamt noch zu niedrig, das konnte sich der kleine ambulante Dienst nicht leisten. Die Jahre vergingen und vergingen. Und dann musste ich ja auch erst mal die einjährige Ausbildung zur Helferin machen. Da ich immer nur im ambulanten Bereich tätig war, hatte ich von Altenheim und Station wenig Ahnung, das habe ich da gemerkt. Und jetzt mache ich die dreijährige Ausbildung zur Fachkraft. Das ist mein Ziel. Heute kann ich sagen, dass ich es bereue, nicht viel früher gekündigt und was Neues angefangen zu haben. Als Helferin ist man sehr den Hierarchien ausgesetzt, man ist der Unterste – egal, wie viel Erfahrung man hat.

Frage: Wie meinen Sie das genau?
Ines: Man hat im Alltag viel an Erfahrung gewonnen und auch ein Gespür dafür entwickelt, wenn man etwas verbessern könnte. Aber das war halt nicht gefragt, es war so eine „08/15-Pflege“. Ich wollte etwas ändern: An meiner Position, aber auch daran, wie Pflege abläuft. Man braucht nur in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen: „Möchte ich so behandelt werden?“ Dann kommt man schnell drauf, was anders laufen müsste. Man sollte menschlich pflegen und sich auch Gedanken machen, was der Kunde braucht. Wenn er zum Beispiel sagt, er möchte heute nicht geduscht werden, dann kann man es sich leichtmachen: „Hab‘ ich schon weniger Arbeit.“ Was aber, wenn eine Dusche eigentlich dringend notwendig wäre? Dann muss man reden, Geduld haben, überzeugen und am Ende handeln. Und das dauert natürlich. Ich mag im Umgang mit solchen Menschen das Argument „Wir sind zu wenig Leute.“ eigentlich nicht hören.
Frage: Was ist noch wichtig?
Ines: Kommunikation. Einen Körper zu pflegen – das kann man eben mal abarbeiten. Aber sich auf die Leute einlassen – das ist dann schon was Anderes. Die Leute sind oft abgekapselt in ihrer Lebenssituation, um nicht zu sagen: einsam. Manche spüren Last im Umgang mit ihren Angehörigen, manche möchten gerne mehr von draußen aus der Welt erfahren, an der sie unter ihren Umständen nicht mehr so recht teilhaben. Zuhören oder auch mal was von draußen erzählen ist dann mindestens so wichtig wie die Pflegemaßnahmen selbst.
Frage: Können Sie uns ein praktisches Beispiel dafür nennen, worum es in der Kommunikation geht?
Ines: Oft sind es praktische Dinge aus dem Alltag, aber manchmal sind es auch die ganz großen Themen. Wenn zum Beispiel jemand über den Tod eines geliebten Menschen spricht. Man sollte an dieser Stelle nie sagen „Ich verstehe Sie“, weil man das einfach nicht verstehen kann. Es sei denn, man hat selbst so eine Verlusterfahrung gemacht. Aber auch hier: Wer von uns kann verstehen, was es bedeutet, wenn nach 60 gemeinsamen Jahren die Frau oder der Mann stirbt? Da braucht es kein „ich verstehe Sie“, es braucht ein offenes Ohr. Einfach aufmerksam zuhören.
Frage: Wie sind Sie ausgerechnet bei den Mitterfeldern zur Ausbildung gelandet?
Ines: Es war eher Zufall, aber ein sehr glücklicher Zufall. Einfach, weil die Lehrkräfte top sind. Die haben selber Erfahrung von dem, was sie uns beibringen. Sie sind auch sehr praxisorientiert und geben sofort Rückmeldung, wenn wir etwas gut gemacht haben oder auch etwas besser machen müssten. Was nützt es, wenn ich in der Theorie alles über eine Thrombose lerne, aber in der Praxis keine erkenne? Und genau hier zeigt sich, wie gut die Lehrkräfte sind. Ach ja, und die haben alle gute Nerven. Das alles hilft sehr weiter. 
Frage: Sie sagen, Sie sind gut 50, wenn Sie die Ausbildung beendet haben. Wie kommen Sie mit den vielen jüngeren Mitschülerinnen und Schülern klar?
Ines: Sehr gut. Sagen wir so: Ich dachte immer, mein Alter wäre ein Vorteil, wenn es um die Ernsthaftigkeit beim Lernen geht. Aber die allermeisten Jüngeren sind genauso ernsthaft bei der Sache. Klar, die Jüngeren lernen schneller, da kann ich schon mal was abschauen und mir auch erklären lassen. Die vielen lateinischen Wörter zum Beispiel – da sind die Jüngeren schneller. Manche von denen schaffen es, wenn sie kurz vor einer Prüfung das Lernen anfangen. Ich muss da schon etwas strategischer und langfristiger ran. Umgekehrt können die Jüngeren auch mit der Erfahrung was anfangen, die ich mitbringe. Aber ich glaube, am Ende kommt es halt darauf an, wie man sich selbst gibt. Und dementsprechend passt es für mich in diesem Umfeld super.
Frage: Was ist Ihr Lieblingsfach in der Akademie?
Ines: Da muss ich erst mal überlegen, es gibt Verschiedenes. Also, wie ein Körper aufgebaut ist zum Beispiel. Die Organe. Aber auch das Psychische. Wie funktioniert das alles? Bis hin zur Kommunikation, die verschiedenen Arten des Zuhörens, oder wie man sich selbst gibt, was man von sich offenbart und auch, dass man solche Dinge trainieren kann.
Frage: Wie schaffen Sie zu diesem engagierten Berufsleben einen guten Ausgleich?
Ines: Viel spazieren gehen, auch mit Tochter und Enkel. Raus in die Natur. Neulich haben wir was Lustiges ausprobiert: In einer Unterführung im Wald, wo es schön gehallt hat, haben wir einfach laut geschrien. Das Schreien hat richtig gutgetan, auch wie es in der Unterführung gedröhnt hat. Schwimmen gehe ich auch gerne, Sport hilft total für den Ausgleich. Und daheim mache ich gerne Rätsel.
Frage: Wie wird es für Sie weitergehen?
Ines: Wenn ich die Ausbildung bei den Mitterfeldern abgeschlossen habe, bin ich 50 oder 51. Und ich möchte schon noch weitermachen, vielleicht bis zur Pflegedienstleitung. Ich möchte schon gerne auch was verändern; das geht trotz aller praktischen Erfahrung nicht so gut, wenn man in der Hierarchie unten steht. Es braucht halt alle: Die Praktiker an der Basis, aber auch die Führungskräfte, die nicht zu lasch sein dürfen, aber auch nicht ihre Leute demotivieren dürfen. Aber egal, an welcher Stelle man arbeitet: Unser Beruf ist kein Job, den man einfach so macht. Das muss man mögen - und wer ihn mag, wird erfolgreich sein, viele schöne Rückmeldungen und Dankbarkeit erfahren. Und dann wird man diesen Beruf lieben. Es ist definitiv etwas für Leute, die das wollen. Für Leute, denen halt bei der Berufswahl nichts Anderes eingefallen ist, ist es nichts.